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Der vorbestrafte Terrorist Kujtim F., 20, läuft mordend durch die Innenstadt. Die Polizei hat seine Radikalisierung durch den Islamischen Staat nicht bemerkt. Das Protokoll einer Schreckensnacht

Es ist Montag, 20.02 Uhr, wir brauchen für den Redaktionsschluss noch Zigaretten. Hundert Meter sind es vom Falter-Büro in der Marc-Aurel-Straße zum nächsten Automaten. Die Straße ist einer der Ausläufer des „Bermudadreiecks“, einer Partymeile, an der Generationen von Wienern, Touristen und Zugereisten trinken, tanzen und das Leben genießen.

Eine Minute, bevor wir das Haus verlassen, dürften die ersten Schüsse gefallen sein. Auf der Straße treffen wir auf verschreckte Burschen vor einem Irish Pub, sie erzählen entgeistert von einer Kalaschnikow. Und dann wird es laut, richtig laut, ein blechernes Gellen: Krt krt krt. Krt krt krt. Vom Schwedenplatz stürmen Polizisten mit Gewehr im Anschlag, wir hämmern an die Redaktionstüre, die Schüsse kommen näher.


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Es ist eine gespenstische, eine unwirkliche Szene. Begleitet vom Heulen der Einsatzwagen, die durch die Marc-Aurel-Straße rasen und drüben am Donaukanal erstaunlich schnell die Innenstadt ansteuern. Mit Helmen und schusssicheren Westen, mit Hubschraubern und zivilen Einsatzkommandos durchkämmen die Polizisten den Bezirk wie bei einem Häuserkampf. Sieben verschiedene Polizisten werden an diesem Abend schießen. Sind Dutzende Attentäter in der Stadt unterwegs? Oder doch nur einer? Niemand kann es zu der Zeit sagen.

Die Lage bei Redaktionsschluss: Am Allerseelentag 2020 starben um den Schwedenplatz fünf Menschen, darunter auch der Attentäter Kujtim F., der vor 20 Jahren als Sohn nordmazedonischer Eltern in Mödling geboren wurde, wie Innenminister Karl Nehammer bestätigte. Am Montag, kurz nach acht Uhr abends, suchte er das Fortgehviertel beim Schwedenplatz heim, ob er alleine war, ist unklar. Sein Sturmgewehr lässt auf reife Vorbereitung schließen.

Das Attentat ist der schwerste Terroranschlag in Österreich seit der Briefbombenserie des rechtsextremen Franz Fuchs und wohl der erste von der Terrormiliz Islamischer Staat inspirierte. Aufgelöst spricht der Innenminister Karl Nehammer in der Pressekonferenz vom „schwersten Tag für Österreich seit vielen Jahren“.

Kujtim F. soll radikalisierter Sympathisant des sogenannten IS gewesen, die Beamten konnten ihn schnell identifizieren, noch in der Nacht sprengen sie seine Simmeringer Wohnung für eine Hausdurchsuchung auf. In der Pubertät beschäftigte er sich intensiv mit dem Islam, danach bekam er Probleme, daheim und in der Schule. Er besuchte regelmäßig eine dem Verfassungsschutz bekannte Moschee in der Josefstadt.

Den Behörden war Kujtim F. bestens bekannt: Er war einer jener Islamisten, die von Österreich nach Syrien ins „Kalifat“ ausreisen wollten, bis in die Türkei hat er es geschafft. 2019 saß er deshalb wegen der Mitgliedschaft an einer terroristischen Vereinigung siebeneinhalb Monate lang in Österreich im Gefängnis. Dass Kujtim F. einen Anschlag in Wien plante, hatte ihm die Polizei offenbar trotzdem nicht zugetraut.

Was war nun das Motiv dieses Burschen? Vieles spricht dafür, dass Kujtim F. sein Anschlagsziel mit Bedacht wählte. In derselben Seitenstettengasse hatte ein palästinensisches Terrorkommando 1981 die Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinde Wiens gestürmt und zwei Menschen getötet. Kujtim F. könnte diesen Terrorakt zitiert haben, um dann im Bermudadreieck ein Blutbad vor den Überwachungskameras der Kultusgemeinde anzurichten.

 

Der Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister wurde an seinem Wohnungsfenster zum Augenzeugen, er will „einen oder mehrere“ Täter gesehen haben, die „gezielt“ Menschen in den Gastgärten ins Visier genommen hätten. Die Tische waren an jenem Abend voll, der Föhn wärmte den Abend auf fast 20 Grad. Viele wollten sich die letzten Stunden vor dem Lockdown noch einmal schöntrinken. Kurz nach 20 Uhr begann das Morden.

In der Seitenstettengasse, vis-à-vis vom Stadttempel der Israelitischen Kultusgemeinde und vor der Meinz Cocktailbar schießt der Attentäter im Vorbeigehen auf einen Passanten. Er läuft noch einmal zurück und feuert aus einer Pistole auf den am Boden liegenden jungen Mann, der sich die Hand vors Gesicht hält. Der Angreifer sucht Deckung in den Eingängen der Bars, ein Anrainer ruft ihm laut „schleich di, du Orschloch“ nach.

Die Tische vor der Trinkerhöhle „Morgans“ in der Judengasse stapeln sich wild, daneben, vor dem Eingang des Restaurants Salzgries, liegt ein Mensch in seinem Blut. Am Schwedenplatz feuert ein Attentäter auf zwei Polizisten, ein Beamter bleibt schwer verletzt liegen, er soll inzwischen außer Lebensgefahr sein. Hinter einem McDonald’s gehen einige Uniformierte in Deckung.

Offenbar ist Kujtim F. acht Minuten lang durch die Gassen des Bermudadreiecks gelaufen und hat wahllos zu morden versucht. Um 20.09 Uhr liegt er tot vor der Ruprechtskirche, erschossen von Polizisten der Sondereinheit Wega, die einen Sicherheitsabstand um den Leichnam ziehen. Der Sprengstoffgürtel um seinen Bauch stellt sich später als Attrappe heraus.

Der Abend des Schreckens begann mit Polizeinotrufen. Ein Mann würde mit einer Schrotflinte in der Innenstadt um sich schießen, so erzählt es Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl in einer ersten Pressekonferenz. Die Schrotflinte war in Wirklichkeit ein automatisches Sturmgewehr, der Täter trägt auf den Videos zudem eine Pistole und wohl eine Machete. Man weiß in diesen Minuten wenig: Marodiert eine islamistische Terrorzelle in der Wiener Innenstadt? Oder ist es ein einzelner Amokläufer?

In den sozialen Medien bittet die Polizei, keine Handybilder zu zeigen, auch, um die Einsatzkräfte nicht zu gefährden. Auf Twitter kommen bei Attentaten die schnellsten Informationen: wahrheitsgemäße und nützliche. Und die anderen. Am Abend haben Fake News Saison – In Salzburg habe es einen Anschlag gegeben und im Hilton-Hotel im Stadtpark, Terroristen seien mit der U3 unterwegs. Der Krawallsender Oe24 der Fellner-Familie tut in diesen Stunden, was es nach Terroranschläge zu vermeiden gilt: In Endlosschleife laufen die traumatisierenden Bilder von den Mordversuchen, der Blutlache beim Salzamt.

Der Moderator verliest gefälschte Bekennerschreiben, auch die Online-Krone lässt die Nation beim Sterben zusehen. Beim Österreichischen Presserat sind bisher 700 Beschwerden gegen die Veröffentlichung der Hinrichtungsbilder eingegangen. Auch der Falter sitzt einer von der Polizei gestreuten Falschmeldung auf: in einem Lokal der Mariahilfer Straße habe ein Attentäter Geiseln genommen. Das war − zum Glück − falsch.

Es ist 21 Uhr, unter den Fenstersimsen der Redaktion marschieren nun Wega-Beamte mit Helm und Weste im Gänsemarsch. Die roten Punkte aus ihren Gewehrläufen suchen Wände ab, Polizisten brüllen Passanten an, sich gegen die Hauswand zu drücken. Ein alter Mann steht mit erhobenen Händen da, am Graben knien junge Verdächtige, die ihre T-Shirts ausziehen mussten. Aus dem Nobelrestaurant im Meinl am Graben filmen Zuschauer die Szene.

Im Burgtheater rauchen die Zuschauer nervös im Foyer, im Konzerthaus hört der Percussionist Martin Grubinger angeblich nicht mit den Zugaben auf, damit die Gäste ja nicht nach draußen gehen. Dort, wo die Einsatzkräfte immer noch weitere Attentäter vermuten. Das Hotel Wandl bietet 40 Gestrandeten kostenlose Übernachtungen an, an diesem Abend trinken alle aufs Haus. Im Schwarzen Kameel gerät der Gastgarten in Panik, der Hausherr will die Gäste reinbitten, doch sie laufen davon. Die Innenstadt ist abgeriegelt, eigentlich alles innerhalb des Gürtels. Die Einsatzfahrzeuge tauchen das Grätzel bis zum Riesenrad in blinkendes Blau.

Auf der Schwedenbrücke reihen sich nun Ambulanzwagen an Ambulanzwagen, 15 Verletzte bergen die Sanitäter der Berufsrettung Wien von den Tatorten zwischen Schwedenplatz und Graben. Sieben Menschen wurden schwer verletzt, durch Schüsse oder Stiche, darunter ein 28-jähriger Polizist. Auf den Tischen bleiben halbvolle Gläser.

Wie konnte all das passieren? Bisher war Österreich von der Gewalt der Dschihadisten verschont geblieben. Islamistische Gräueltaten in London, Nizza oder Brüssel beobachteten wir stets aus sicherer Entfernung. Erst am 16. Oktober hatte im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine ein gebürtiger Tschetschene den 47-jährigen Geschichtelehrer Samuel Paty enthauptet. Er starb, weil er Meinungsfreiheit anhand von Mohammed-Karikaturen unterrichtete. Knapp zwei Wochen später erstach ein 21-jähriger Tunesier in der Kathedrale Notre Dame in Nizza drei Gläubige.

Das alles schien Wien, eine Insel der Seligen, nicht zu betreffen. Die alten islamistischen Kader der al-Qaida (die in Europa im Islamischen Staat aufgegangen sind) hatten Österreich stets als „Ruheraum“ kategorisiert. Diese ließ man bei Anschlagsplänen beiseite, man mordete in den „Aktivräumen“. Österreich beteiligte sich nicht am Krieg im Nahen Osten und wähnte seine Islamistenszene unter Kontrolle. Wenn Hassprediger aufgespürt wurden, bekamen sie hohe Haftstrafen − etwa der bosnische Prediger Mirsad O. oder der spätere IS-Mörder Mohammed M.

Beunruhigend waren schon die jüngsten Nachrichten aus Favoriten. Auf dem Reumannplatz sollen sich am vergangenen Donnerstag bis zu 50 Jugendliche zusammengerottet und islamistische Parolen gerufen haben. Nachdem die Polizei die Menge zerstreut hatte, traten die Burschen in der Antonskirche nebenan auf Beichtstühle ein und sollen Allahu Akbar gerufen haben. Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung übernahm.

„Im Netz wurde ein Aufruf zum Treffpunkt am Reumannplatz mit der Flagge des Islamischen Staates versehen“, sagt Thomas Schmidinger, der sich auf das Thema Islamismus spezialisiert hat. Das bedeute aber noch nicht, „dass die Täter tatsächlich Verbindungen zum IS haben“.

Das bedeutet aber auch nicht, dass hierzulande keine Terrorgefahr herrschte. Der 19-jährige Wiener Lorenz K., der sich als Jugendlicher im Gefängnis radikalisierte, hatte einen erst zwölfjährigen Buben zu einem Sprengstoffanschlag angestiftet. Neun Jahre Haft fasste K. aus, im Gefängnis radikalisiert er sich weiter, eine Resozialisierung scheint nicht zu gelingen.

Dass ein Terrorist durch die Gasse kämmen und auf Gastgärten schießen würde, wie 2015 in Paris, hat für Wien eine völlig neue Dimension. Nur den deutschen Islamismus-Forscher Ahmad Mansour hat das nicht überrascht: „Die Basis, die Ideologie war immer da.“ Aus Österreich sind ab 2013 rund 300 Menschen zum Islamischen Staat nach Syrien gegangen. Mohammed M. avancierte gar zum „IS-Propaganda-Chef“ für Europa, er versetzte Geiseln vor laufenden Kameras Genickschüsse, bis er 2018 von einer Drohne getötet worden sein soll.

Oft hatten Experten davor gewarnt, die Sicherheitslage in Österreich zu unterschätzen. Den Anschlag vom Schwedenplatz reklamierten IS-Propagandamedien schnell für sich. Sie schreiben von den Attentätern als „Löwen“, Österreich bekomme die Rechnung für seine Teilnahme an der US-Koalition gegen die Terroristen. Auch der renommierte deutsche Terror-Forscher Peter Neumann ist sich „zu 99 Prozent“ sicher, dass der IS hinter dem Anschlag steht.

Die Szene sei in den letzten Monaten inaktiv gewesen, ihr Ziel, ein Kalifat zu errichten, im Grunde gescheitert. Doch der Prozess gegen die Attentäter von Charlie Hebdo in Paris, die Enthauptung des französischen Geschichtelehrers und die Messermorde in der Kirche zu Nizza hätten Aktivisten geweckt. Kurz vor dem Lockdown wollen sie jetzt offenbar noch einmal zuschlagen.

Um die jüdischen Communitys zu terrorisieren, ein unbeschwertes Lebensgefühl zu zerstören und die Gesellschaft zu spalten.

Am Ende werden zwei große Fragen bleiben. Die politische: Was tun mit offenbar in Wien radikalisierten jungen Männern, die ein Maschinengewehr zücken, um für das „Kalifat“ zu morden? Steht das Verbrechen in einer Reihe mit dem Terror in anderen Großstädten? Haben die Randalen in der Kirche am Antonsplatz in Favoriten die gleichen Wurzeln wie das Morden in der Inneren Stadt? Wie wird dieser Anschlag Österreich verändern? Wird die türkis-grüne Regierung deeskalieren, wie Terrorforscher Neumann rät, also den Zusammenhalt der Gesellschaft betonen? Eskalation, warnt der Forscher, spiele dem Terror in die Hände. Ein starker Verfassungsschutz sei nun das Gebot der Stunde, nicht starke Sprüche.

Nicht zuletzt wird sich der österreichische Staatsschutz entscheidende Fragen stellen müssen: Wie und wo konnte ein junger Simmeringer so brutalisiert werden, dass er in der Innenstadt auf Menschenjagd geht? Wie konnte ein nach dem Terrorparagrafen verurteilter Mann einen Anschlag planen und umsetzen? Warum wurde er nicht observiert? Wo hatte er die Waffen her, wer wusste von seinen Plänen?

Die Antworten darauf könnten für den Innenminister unangenehm werden.

 

Sorgente: „Oaschloch!“ – FALTER 45/20 – FALTER.at

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